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Wie eine KI deine Einzigartigkeit (teilweise) kopieren kann (Teil 1)

Von Eric Kubitz28.9.2025
Der Weg zum ICH-Ersatz

Wer kreativ mit KI arbeitet, hat eine eigene Stimme - auch wenn sie nicht immer laut ist. Die Frage ist: Kann eine KI lernen, in deiner Stimme zu sprechen? Und wenn ja, wie nah kommt sie an das Original heran? Ein Experiment mit überraschenden Erkenntnissen.

Das Experiment: Zwei Versionen meiner Stimme

Lass uns mit einem Live-Test beginnen. Ich habe Claude - die KI, die diesen Artikel mit mir entwickelt - gebeten, in meinem Stil zu schreiben. Einmal nur basierend auf unserer kurzen Unterhaltung, einmal mit einem systematischen "ICH-Paket" aus Fragen und Präferenzen.

Claude nach 3 Nachrichten

Hier ist, wie die KI mich nach einem kurzen Austausch einschätzte:

"KI-Tools werden immer wichtiger für kreative Berufe. Die Herausforderung liegt darin, sie effektiv zu nutzen. Zunächst sollten Sie verstehen, welche Aufgaben sich automatisieren lassen. Dann können Sie schrittweise experimentieren. Wichtig ist: Starten Sie klein und skalieren Sie systematisch."

Claude mit ICH-Paket

Und hier derselbe Inhalt, nachdem ich der KI systematisch meine Persönlichkeit beschrieben hatte:

"Die meisten Artikel über KI für Kreative sind... nun ja, oberflächlich. 'Verwende ChatGPT und werde produktiver!' - als wäre es so einfach. Die Wahrheit ist komplexer und ehrlich gesagt auch interessanter. KI wird nicht deine Kreativität ersetzen, aber sie könnte deine Arbeitsweise fundamental verändern. Die Frage ist nicht, ob du KI nutzt, sondern wie bewusst du dabei vorgehst. Denn hier gibt es durchaus ein paar Fallstricke, über die niemand gerne spricht..."

Der Unterschied ist drastisch. Version eins klingt wie ein typischer Business-Ratgeber. Version zwei? Das bin tatsächlich ich - zumindest zu etwa 70 Prozent.

Was KI erstaunlich gut kopieren kann

Nachdem ich Dutzende solcher Experimente gemacht habe, kristallisieren sich vier Bereiche heraus, in denen KI beeindruckende Fortschritte beim "Stimmen-Klonen" macht:

Strukturelle Muster erkennen KI analysiert, wie du Sätze baust, welche Übergänge du verwendest, ob du in Listen denkst oder fließend erzählst. Diese "Architektur" deines Schreibens lässt sich überraschend präzise nachahmen.

Tonalität und Grundhaltung übertragen Bist du konfrontativ oder empathisch? Direkt oder subtil? Autoritär oder auf Augenhöhe? KI kann diese Grundhaltungen aus wenigen Beispielen extrahieren und konsistent anwenden.

Argumentationslogik verstehen Gehst du vom Problem zur Lösung oder umgekehrt? Verwendest du gerne Beispiele oder abstrakte Konzepte? Antizipierst du Einwände? Diese Denkstrukturen sind für KI gut nachvollziehbar.

Fachliche Schwerpunkte setzen Aus deinen Texten lernt KI, welche Aspekte du wichtig findest, welche Details du auslässt und wo deine Expertise liegt.

Das Faszinierende: Viele dieser Muster sind uns selbst gar nicht bewusst. Wir "machen es einfach" - die KI macht es sichtbar.

Die hartnäckigen Grenzen

Aber hier wird es interessant. Trotz aller Fortschritte gibt es Bereiche, in denen KI an ihre Grenzen stößt:

Intuitive Sprünge und kreative Verbindungen Menschen verknüpfen scheinbar unzusammenhängende Ideen auf unvorhersehbare Weise. Diese kreativen Wendungen, die einen Text erst wirklich interessant machen, entstehen aus einem komplexen Zusammenspiel von Erfahrung, Assoziation und Intuition.

Persönliche Erfahrungen und Referenzen Deine Geschichten, deine Metaphern, deine kulturellen Bezüge - das alles prägt deine Stimme, aber KI kann es nur oberflächlich nachahmen, nicht authentisch reproduzieren.

Situative Anpassungen Menschen spüren intuitiv, wann sie den Ton wechseln müssen. KI folgt Regeln, aber diese feinen situativen Nuancen entgehen ihr oft.

Emotionale Authentizität KI kann Emotion simulieren, aber echte emotionale Resonanz - die entsteht, wenn persönliche Erfahrung auf aktuellen Kontext trifft - bleibt schwer fassbar.

Das 70/30-Prinzip: Realistische Erwartungen

Nach meinen Experimenten hat sich eine pragmatische Faustregel herauskristallisiert: Eine gut trainierte KI kann etwa 70 Prozent deiner Stimme kopieren. Die restlichen 30 Prozent bleiben deine kreative Arbeit.

Diese 70 Prozent sind aber nicht irgendwelche 70 Prozent. Es sind oft die mühsamen, repetitiven Aspekte des Schreibens:

  • Grundstruktur aufbauen

  • Übergänge formulieren

  • Konsistente Tonalität halten

  • Fachliche Richtigkeit sicherstellen

Die verbleibenden 30 Prozent sind das, was den Unterschied macht:

  • Überraschende Wendungen

  • Persönliche Insights

  • Emotionale Tiefe

  • Kreative Verbindungen

Wann lohnt sich der Aufwand?

Das hängt von deiner Situation ab. Wenn du täglich ähnliche Texte schreibst - Newsletter, Social Media Posts, Produktbeschreibungen - können diese 70 Prozent eine massive Zeitersparnis bedeuten. Du konzentrierst dich auf die kreativen 30 Prozent, während die KI die Grundarbeit übernimmt.

Schreibst du hingegen hauptsächlich sehr persönliche oder hochkreative Inhalte, bei denen jedes Wort zählt, ist der Nutzen geringer. Hier sind die 30 Prozent, die die KI nicht kann, entscheidend.

Was das für dich bedeutet

Die KI wird nicht deine Stimme ersetzen. Aber sie kann deine Stimme verstärken, beschleunigen und in gewisser Weise demokratisieren. Du kannst mehr Output in deiner authentischen Stimme produzieren, ohne dich in repetitiven Schreibaufgaben zu verlieren.

Die Voraussetzung: Du musst der KI systematisch beibringen, wer du bist. Und genau darum geht es im zweiten Teil.


Im nächsten Teil: Wie du dein persönliches ICH-Paket schnürst - von den richtigen Fragen bis zur optimalen Prompt-Struktur