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KI-Bias verstehen: Warum selbst die besten Systeme nicht neutral sind

Von Eric Kubitz26.8.2025
KI-Biases

KI-Systeme sind nie neutral - sie spiegeln immer die Verzerrungen wider, die in ihren Daten und ihrer Entwicklung stecken und die Nutzer:innen ihnen beibringen. Das ist kein Versagen der Technologie, sondern ein fundamentales Problem, das du verstehen solltest, wenn du KI einsetzt oder entwickelst.

Was genau ist Bias in KI-Systemen?

KI-Bias beschreibt eine systematische Ungleichbehandlung bestimmter Gruppen durch KI-Systeme. Das passiert, wenn Trainingsdaten verzerrt sind, wenn während der Entwicklung unbewusst problematische Muster verstärkt werden oder die Nutzer:innen beim Abfragen ihre Denkfehler einbringen.

Warum das wichtig ist: Selbst die besten KI-Systeme sind davon betroffen und werden es auch immer sein. Der Grund ist simpel: Daten sind niemals neutral. Jeder Datensatz trägt menschliche Entscheidungen in sich: Wer wurde befragt? Welche Daten wurden gesammelt? Was wurde weggelassen? Welche Daten sind überhaupt im Korpus? Und wie werden diese von den Nutzenden aufgenommen?

Die verschiedenen Gesichter von KI-Bias

Bias taucht in jeder Phase des KI-Lebenszyklus auf und hat jeweils unterschiedliche Ursachen. Hier nenne ich die wichtigsten Biases aus einem Whitepaper des bsi zum Thema. Wer es genauer wissen will, dem sei die Lektüre dieses Papiers empfohlen: https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/KI/Whitepaper_Bias_KI.pdf?__blob=publicationFile&v=5.

1. Bei der Datenerhebung

  • Historischer Bias entsteht, wenn deine Trainingsdaten vergangene gesellschaftliche Ungerechtigkeiten widerspiegeln. Wenn du beispielsweise ein Bewerbungs-KI-System mit Daten der letzten 50 Jahre trainierst, lernt es automatisch, dass bestimmte Positionen hauptsächlich mit Männern besetzt waren - und wird diese Muster fortführen.

  • Repräsentationsbias liegt vor, wenn bestimmte Gruppen in deinen Daten unter- oder überrepräsentiert sind. Ein klassisches Beispiel sind Gesichtserkennungssysteme, die hauptsächlich mit Bildern hellhäutiger Menschen trainiert wurden und deshalb bei anderen Hautfarben schlechtere Ergebnisse liefern.

  • Messungsbias entsteht durch die Art und Weise, wie du Daten sammelst. Wenn du eine Umfrage nur online durchführst, schließt du automatisch Menschen aus, die keinen Internetzugang haben - meist ältere oder einkommensschwächere Personen.

Bei fehlenden Variablen werden wichtige Faktoren einfach nicht erfasst. Ein Kreditvergabe-Algorithmus, der das Einkommen berücksichtigt, aber nicht die Lebenshaltungskosten der jeweiligen Region, benachteiligt Menschen aus teuren Städten systematisch.

2. Bei der Entwicklung

  • Evaluationsbias passiert, wenn du die falschen Metriken für den Erfolg deines Systems wählst. Ein KI-System zur Krebserkennung mag insgesamt eine hohe Trefferquote haben, aber wenn es bei seltenen Krebsarten schlechter funktioniert, übersieht es genau die Fälle, wo schnelle Diagnose am wichtigsten wäre.

  • Algorithmischer Bias liegt im Modell selbst: Manche Algorithmen verstärken bestehende Muster in den Daten automatisch. Wenn dein Modell lernt, dass bestimmte Postleitzahlen mit höherer Kriminalität korrelieren, kann es Menschen aus diesen Gebieten systematisch schlechter bewerten - unabhängig von ihren individuellen Eigenschaften.

  • Aggregationsbias entsteht, wenn du unterschiedliche Gruppen fälschlicherweise gleich behandelst. Ein Diabetes-Vorhersagemodell, das für alle Ethnien dieselben Parameter verwendet, übersieht, dass verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Risikofaktoren haben.

3. Bei der Nutzung

  • Interaktionsbias entwickelt sich durch die Art, wie Menschen mit deinem System interagieren. Suchmaschinen verstärken beispielsweise bestehende Vorurteile, weil Nutzer nach stereotypischen Begriffen suchen, was wiederum die Algorithmen beeinflusst.

  • Populationsbias tritt auf, wenn dein System in völlig anderen Kontexten eingesetzt wird als geplant. Ein KI-System, das in urbanen Gebieten entwickelt wurde, kann in ländlichen Regionen völlig andere - und oft schlechtere - Ergebnisse liefern.

  • Automationsbias beschreibt die Tendenz von Menschen, KI-Entscheidungen blind zu vertrauen. Wenn Ärzte zu sehr auf KI-Diagnosen vertrauen, übersehen sie möglicherweise wichtige Symptome, die das System nicht erkannt hat.

Warum das BSI Alarm schlägt

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sieht Bias nicht nur als ethisches Problem, sondern als echte Sicherheitsbedrohung. Die Forderung der Autor:innen: Entwickler, Anbieter und Betreiber müssen sich systematisch mit Bias auseinandersetzen.

Das bedeutet konkret:

  • Aufbau von Fachwissen über verschiedene Bias-Arten

  • Klare Zuständigkeiten für Datensätze und KI-Systeme definieren

  • Organisatorische und technische Gegenmaßnahmen etablieren

  • Bias-Erkennung als kontinuierlichen Prozess verstehen

Die echten Risiken von Bias

Auswirkungen auf Nutzer und Unternehmen

Die direktesten Folgen treffen zunächst die Nutzer: KI-Systeme mit Bias führen zu diskriminierenden Ergebnissen, wodurch Menschen unberechtigterweise der Zugang zu Ressourcen oder Gelegenheiten verwehrt wird. Ein Kreditvergabe-Algorithmus könnte beispielsweise systematisch Frauen oder Angehörige bestimmter Ethnien benachteiligen, auch wenn ihre Bonität objektiv gleich gut ist.

Für Unternehmen entstehen daraus erhebliche rechtliche Risiken. Schadensersatzforderungen und Compliance-Probleme können teuer werden, besonders wenn sich herausstellt, dass die verwendete KI systematisch gegen Antidiskriminierungsgesetze verstößt. Darüber hinaus können verzerrte KI-Systeme Geschäftsprozesse massiv stören - wenn ein Personalauswahlsystem qualifizierte Kandidaten übersieht oder ein Empfehlungsalgorithmus die falschen Produkte vorschlägt.

Bias als IT-Sicherheitsrisiko

Hier wird es besonders brisant: Bias schafft völlig neue Angriffsmöglichkeiten auf IT-Systeme. Böswillige Akteure können gezielt die unerwarteten Verhaltensweisen ausnutzen, die durch Verzerrungen entstehen.

Vertraulichkeit wird mehrfach bedroht. Bei Membership Inference Attacken nutzen Angreifer die unbalancierten Subpopulationen in Trainingsdaten aus, um herauszufinden, ob bestimmte sensible Daten im Training verwendet wurden. Das ist besonders gefährlich bei medizinischen oder finanziellen Daten. Model Inversion Attacken gehen noch weiter: Sie extrahieren sensible Informationen direkt aus dem KI-Modell, indem sie die durch Bias entstandenen Schwächen ausnutzen. Schlimmstenfalls können Angreifer sogar das gesamte KI-Modell stehlen (Model Extraction), weil Bias die Abwehrmechanismen schwächt.

Die Integrität von KI-Systemen leidet erheblich unter Bias. Besonders dramatisch zeigt sich das bei sicherheitskritischen Anwendungen: Ein Gesichtserkennungssystem an Flughäfen, das aufgrund von Repräsentationsproblemen bei bestimmten Ethnien schlechtere Ergebnisse liefert, gefährdet die gesamte Sicherheitsarchitektur. Historischer Bias macht Cybersecurity-KI anfällig, weil sie neue Angriffsmuster nicht erkennt - sie kennt ja nur die alten Daten. Angreifer nutzen das gezielt aus: Bei Poisoning Attacken manipulieren sie die Trainingsdaten so, dass das System später bestimmte Muster übersieht. Evasion Attacken zielen darauf ab, die durch Bias entstandenen Schwächen zu missbrauchen, um Sicherheitssysteme zu täuschen.

Die Verfügbarkeit von KI-Systemen kann durch Bias ebenfalls beeinträchtigt werden. Wenn die Integrität eines Systems durch gezielte Angriffe auf die Bias-Schwächen stark genug gestört wird, kann das gesamte System unbrauchbar werden. Koordinierte Angriffe auf dynamische KI-Systeme, die ihre Bias-Schwächen ausnutzen, können sowohl Verfügbarkeit als auch Integrität gleichzeitig bedrohen.

Beispiel aus der Praxis: Eine biometrische Zugangskontrolle, die aufgrund von Bias bestimmte Personen nicht zuverlässig erkennt, wird zum Sicherheitsrisiko - entweder sperrt sie berechtigte Nutzer aus oder lässt Unbefugte rein.

Was das für uns bedeutet

Bias in KI ist kein Bug, den man einfach wegpatchen kann - es ist ein fundamentales Problem, das Aufmerksamkeit und kontinuierliche Arbeit erfordert.

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Kein KI-System ist von Natur aus fair oder neutral

  • Bias entsteht überall - von der Datensammlung bis zur Nutzung

  • Bias ist nicht nur ein ethisches, sondern auch ein handfestes Sicherheitsproblem

  • Die Lösung liegt in kontinuierlicher Überwachung und gezielten Gegenmaßnahmen

Kurz gesagt: Wer KI sicher und verantwortungsvoll einsetzen will, kommt um eine systematische Beschäftigung mit Bias nicht herum. Das ist der Preis für die Macht dieser Technologie - und gleichzeitig der Schlüssel für ihren erfolgreichen Einsatz.